Kindesschutz
Die meisten Kinder wachsen in einem behüteten Umfeld auf, in dem die Eltern für das Wohl des Kindes sorgen. Nur wenn die Eltern ihren Pflichten nicht nachkommen wollen oder können und dadurch das Kindeswohl gefährdet ist, kommt das Kindesschutzrecht zum Zug. In diesen Fällen muss die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB oder das Gericht in Ehesachen eingreifen und alles unternehmen, damit es dem Kind gut geht.
Erklärfilm Kindesschutz (KESB Kanton Luzern)
Rolle der Eltern
Es ist die Aufgabe der Eltern dafür zu sorgen, dass ihr Kind behütet aufwachsen und sich gut entwickeln kann. Diese wichtige Rolle der Eltern kann auf unterschiedlichste Weise wahrgenommen werden. Es gibt jedoch gesetzliche Regelungen, die für alle gelten und alle zu beachten haben.
Die elterliche Sorge beinhaltet das Recht und die Pflicht, sich um das Kind zu kümmern. Das heisst die Eltern sind für Essen und Unterkunft verantwortlich, sorgen für eine angemessene Bekleidung und ermöglichen soziale Kontakte. Zudem entscheiden sie für das Kind, wo es dies noch nicht selbst kann. Dabei geht es etwa um schulische Belange, die Wahl des Wohnorts oder Hobbies. Die Eltern müssen die Meinung des Kindes berücksichtigen und arbeiten mit der Schule sowie Fachpersonen zusammen.
Die Eltern üben die elterliche Sorge in der Regel gemeinsam (sog. gemeinsames Sorgerecht) aus, unabhängig davon, ob sie im Konkubinat oder verschiedenen Haushalten leben, ob sie verheiratet oder getrennt sind. Bei Problemen mit dem gemeinsamen Sorgerecht können sich die Eltern an eine Beratungsstelle wenden. Erst, wenn dort keine Lösung gefunden wird, kommt die KESB oder das Gericht zum Zug.
Unterstützung für Eltern
Die Erziehung von Kindern ist für alle Eltern eine Herausforderung. Manchmal kommt man da an Grenzen oder ist überfordert. Gut zu wissen, dass es in diesen Situationen Beratungsangebote und Anlaufstellen gibt, die einem helfen können:
Ein beliebtes Angebot ist der Eltern-Notruf. Beraten wird hier in fünf verschiedenen Sprachen via Telefon, E-Mail oder Chat, anonym oder in einem persönlichen Gespräch.
Die Elternberatung von Pro Juventute ist rund um die Uhr und an jedem Tag besetzt. Das Angebot ist kostenlos und unterstützt Eltern oder andere Bezugspersonen in Fragen der Erziehung, kindlichen Entwicklung und Betreuung.
Auf der Webseite der Organisation Pro Familia gibt es den Familienratgeber. Hier findet man Informationen zu verschiedenen Bereichen des Lebens, wie beispielsweise Erziehung, Familienrecht oder Notfälle.
In den Kantonen gibt es viele weitere Beratungsangebote für Familien. Zum Beispiel Mütter-/Väter-/Elternberatung, Familien-/Erziehungsberatung, Jugendberatung, sozialpädagogische Familienbegleitung sowie schulergänzende Kinderbetreuung (Krippe, Kinderhort, Mittagstisch).
KESB-Massnahmen
Die meisten Kinder in der Schweiz erfahren ein liebevolles Zuhause und ein sicheres Umfeld. Doch es gibt auch Kinder, die zu Hause verwahrlosen, Gewalt erfahren oder mit ihrem eigenen Verhalten in eine Abwärtsspirale geraten. In diesen Fällen muss die KESB genau hinschauen und alles tun, um das Kind zu schützen, die Gefahr zu beenden oder zu verhindern (Art. 307 Abs. 1 ZGB). Hierfür stehen der KESB verschiedene Massnahmen zur Verfügung. Diese Massnahmen sollen die Eltern unterstützen, vor allem aber die Situation der Kinder verbessern.
Grundsätzlich ergreift die KESB immer die mildest mögliche Massnahme (Subsidiaritätsprinzip). Denn in erster Linie geht es darum, die Kompetenzen und Fähigkeiten der Eltern zu stärken, und nicht darum, ihnen die Verantwortung wegzunehmen (Komplementaritätsprinzip). Darum wird in jedem einzelnen Fall die individuelle Situation analysiert und geschaut, ob überhaupt eine Massnahme nötig ist und wenn ja, welche am besten passt. Die Massnahme hat in der Regel keinen festgelegten zeitlichen Rahmen. Daher muss die KESB die Bedingungen und Umstände der Massnahme regelmässig überprüfen, um sicher zu sein, dass sie noch immer passt. Die Massnahmen haben das alleinige Ziel, den Schutz des Kindes zu garantieren. Wenn sie nicht mehr nötig sind, werden die Massnahmen angepasst oder aufgehoben.
Die KESB wird durch eine Meldung auf ein möglicherweise gefährdetes Kind aufmerksam. Sobald die KESB eine solche Meldung erhält, wird die Situation rund um das Kind sorgfältig abgeklärt. Im Gespräch mit den Eltern und dem Kind wird geschaut, ob es eine Massnahme gibt, mit welcher man die Familie unterstützen und die Gefährdung des Kindes verhindern kann. Bevor eine Massnahme angeordnet wird, klärt die KESB ab, ob die Eltern und das Umfeld selbstständig eine Lösung finden, die funktioniert. Wenn ja, werden keine KESB-Massnahmen angeordnet.
Erziehungsaufsicht
Die KESB kann eine Fachperson mit der Erziehungsaufsicht (Art. 307 Abs. 3 ZGB) beauftragen. Diese überprüft regelmässig, wie es dem Kind geht und ob Abmachungen (beispielsweise, dass das Kind an zwei Tagen pro Woche in den Kinderhort geht) eingehalten werden.
Weisung
In einer Weisung (Art. 307 Abs. 3 ZGB) wird den Eltern schriftlich und verbindlich mitgeteilt, wie sie die Situation des Kindes verbessern müssen. Dabei kann festgehalten werden, was die Eltern tun und lassen sollen, oder aber was sie dulden müssen. Sie werden etwa angewiesen, mit dem Kind zur Kinderärztin zu gehen, den Paarkonflikt in einer Mediation zu klären oder mit einer sozialpädagogischen Familienbegleitung zusammenzuarbeiten. Die KESB überprüft, ob die Weisung auch umgesetzt wird.
Beistandschaft
Meist bestimmt die KESB für das hilfsbedürftige Kind eine Beiständin oder einen Beistand. Diese Person muss sich um konkrete Aufgaben kümmern, welche die KESB klar umschreibt, und sie vertritt dabei die Interessen des Kindes. Das kann nötig sein, weil die Eltern die Aufgabe nicht genügend wahrnehmen oder weil sie möglicherweise widersprechende Interessen haben.
Es gibt verschiedene Arten der Beistandschaften, die sich flexibel an die jeweilige Situation anpassen können:
Am meisten ordnet die KESB eine Erziehungsbeistandschaft (Art. 308 Abs. 1 ZGB) an, bei welcher der Beistand oder die Beiständin die Familie allgemein unterstützt und mit Rat und Tat zur Seite steht. Das Ziel des Beistands ist es, die Kompetenzen der Eltern zu stärken, sodass diese die Erziehung wieder selbständig übernehmen können.
Nebst dieser allgemeinen Unterstützung gibt es die Beistandschaft mit besonderen Befugnissen (Art. 308 Abs. 2 ZGB), die etwa beim Besuchsrecht unterstützt (Besuchsrechtsbeistandschaft) oder das Kind bei der Wahrung des Unterhaltsanspruches vertritt. Es ist möglich, dass der Beistand oder die Beiständin für verschiedene Aufgabenbereiche zuständig ist.
Platzierung
Es gibt Situationen, in welchen die Eltern auch mit Unterstützung von aussen nicht mehr weiterwissen und die Überforderung dem Kindeswohl massiv schadet. In einem solchen Fall ist eine ausserfamiliäre Betreuung notwendig.
Vielfach kommen die Eltern dann selbst zum Schluss, dass sie ihr Kind bei einer Pflegefamilie oder in einem Heim unterbringen wollen. Diese vereinbarten ausserfamiliären Unterbringungen machen die Mehrheit der Fälle aus, in welchen Kinder zu ihrem Schutz von den Eltern getrennt und an einem geeigneten Ort untergebracht werden müssen.
Eine ausserfamiliäre Unterbringung kann jedoch auch von der KESB angeordnet werden, wenn das Kindeswohl durch keine andere, niederschwelligere Massnahme (z.B. sozialpädagogische Familienbegleitung) gewährleistet werden kann. Diese Massnahme heisst «Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts» (Art. 310 ZGB). Dies ist etwa bei gravierenden Kindeswohlgefährdungen der Fall, wenn Kinder körperlich, psychisch oder sexuell misshandelt oder stark vernachlässigt werden. Es gibt aber auch Situationen, bei denen die Eltern ihre grundlegenden Erziehungsaufgabe nicht mehr bewältigen können oder die Konflikte zwischen Eltern und Kindern derart destruktiv verlaufen, dass eine ausserfamiliäre Unterbringung der einzige Ausweg für eine Stabilisierung ist.
So oder so: Die ausserfamiliäre Unterbringung wird als Massnahme möglichst selten angewendet (rund 10 Prozent aller KESB-Kindesschutzmassnahmen), da sie eine grosse Veränderung für die Familie, Eltern und auch für das Kind bedeutet. Vor diesem Hintergrund arbeiten die KESB in diesen Fällen mit grösster Umsicht mit der Herkunftsfamilie und den betroffenen Kindern.
Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) und die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) haben hierzu auch Empfehlungen ausgearbeitet, welche die sorgfältige professionelle Abklärung der sozialen Situation, der Bedürfnisse und Ressourcen des Kindes und seiner Herkunftsfamilie ins Zentrum stellt. Eine Rückplatzierung in die Herkunftsfamilie wird regelmässig geprüft und ist möglich, wenn sich die Situation zu Hause oder beim Kind selbst verbessert hat.
Wann muss ein Kind ausserhalb der Familie untergebracht werden?
Diese und andere Fragen beantwortet Cornelia Rumo von Youvita:
Streitende Eltern
In der Schweiz sind jedes Jahr rund 30’000 Kinder von einem Scheidungsverfahren oder von einer Trennung unverheirateter Eltern betroffen. Die Kinder brauchen in dieser Phase der Veränderung viel Aufmerksamkeit. Dies gelingt vielen Eltern gut, nicht aber allen, da sie mit ihrer eigenen Konfliktsituation, ihren eigenen Gefühlen und Gedanken beschäftigt sind. Manchmal werden die Kinder in die Konflikte der Eltern hineingezogen und dabei als Mittel gegen den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin verwendet. Das ist für die Kinder sehr belastend, besonders in hochstrittigen Fällen. Wenn es streitenden Eltern nicht gelingt, das Wohl ihres Kindes vor den Konflikt zu stellen, muss die Behörde eingreifen. Das Ziel der KESB (bei unverheirateten Eltern) oder des Gerichts (bei verheirateten Eltern) ist es dann, dass sich der Fokus der Eltern wieder auf das Kind und dessen Bedürfnisse richtet. Es gibt verschiedene Angebote:(z.B. Kinder aus der Klemme, Kinder im Blick oder kinderorientierte Beratung (z.B. Zentrum für Familien in Trennung)), um den Eltern zu helfen.
Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
Die meisten Eltern achten darauf, dass ein Kind auch nach der Trennung genügend Zeit mit dem anderen Elternteil verbringen kann. Es gibt jedoch auch Eltern, die sich immer wieder über den Besuch des Kindes streiten und sich nicht einig werden. Dann kann die KESB oder das Gericht ein Besuchsrecht bestimmen. Denn grundsätzlich hat das Kind Anspruch auf einen persönlichen Kontakt zu beiden Elternteilen (Persönlichkeitsrecht), wie auch die Eltern ein Recht auf einen regelmässigen Kontakt zum Kind haben. Wenn möglich erarbeiten die Eltern mit Unterstützung von Fachpersonen eine Regelung zum Besuchsrecht. Das Kind soll zu beiden Elternteilen Kontakt haben. Manchmal sind detaillierte Regelungen notwendig, etwa zur Wochenaufteilung oder dem alltäglichen Programm des Kindes. Nur so kann der Konflikt reduziert werden.
Zur Unterstützung der Eltern kann eine Beiständin oder ein Beistand eingesetzt werden.
Unterhalt (Art. 276 ff. ZGB)
Zu den elterlichen Pflichten gehört es, Unterhalt zu bezahlen. Dieser Unterhalt umfasst alles, was für die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes notwendig ist. Zu den körperlichen Grundbedürfnissen gehören etwa Nahrung, Bekleidung oder Unterkunft, aber auch die gute medizinische Versorgung. Die geistigen Bedürfnisse beinhalten soziale Kontakte und eine gebührende Ausbildung. Der Unterhalt bezieht sich nicht nur auf die Geldzahlungen, sondern kann auch in Form von Pflege und Erziehung geleistet werden. Grundsätzlich haben sowohl minderjährige als auch volljährige Kinder Anspruch auf Unterhalt. In der Regel dauert der Anspruch auf Unterhalt von der Geburt bis zum Abschluss der Ausbildung.
Unverheiratete Eltern können einen Unterhaltsvertrag abschliessen, der von der KESB genehmigt werden muss. Gibt es keinen solchen Unterhaltsvertrag, kann die KESB eine Beiständin oder einen Beistand bestimmen, der das Kind in dieser Frage vertritt. Kommt es bei verheirateten Eltern zu einer Trennung oder Scheidung, wird der Unterhaltsbeitrag des Kindes vom Gericht geregelt. Bei einer Abänderung des Unterhaltsvertrages kommt die KESB zum Einsatz, wenn sich die Eltern über die Abänderung einig sind. Ansonsten ist das Gericht dafür zuständig.
Sorge- und Obhutsrecht (Art. 296 ff. ZGB)
Die Obhut des Kindes beinhaltet die tägliche Pflege und Erziehung des Kindes. Sie gehört als Teil der elterlichen Sorge zum Kern der elterlichen Aufgaben und beinhaltet das Recht, mit dem Kind zu wohnen und über die alltäglichen Dinge zu bestimmen. Wenn das Kind vorwiegend bei einem Elternteil wohnt, spricht man von alleiniger Obhut. Wenn das Kind im Alltag regelmässig von beiden Elternteilen abwechslungsweise betreut wird (das muss keine 50/50-Betreuung sein), spricht man von alternierender Obhut.
Von einem „Obhutsentzug“ spricht man umgangssprachlich, wenn eine so starke Gefährdung vorliegt, dass die KESB ein Kind ausserfamiliär unterbringen muss. Dabei geht es um das Recht der Eltern, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Dieses Aufenthaltsbestimmungsrecht wird dann aufgehoben und liegt fortan bei der KESB.